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Der Text zeigt, wie KI-Logos, automatisierte Workflows und „lizenzfreie“ KI-Musik unsichtbare Haftungsrisiken für Solo-Unternehmer:innen schaffen.
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KI-Haftung für Selbstständige beginnt im Alltag: Der Fall Domian Keller
An dem Morgen, an dem Domian Keller zum ersten Mal erfährt, was KI-Haftung für Selbstständige wirklich bedeutet, liegt ein eingeschriebener Brief auf seinem Schreibtisch. Das Büro sieht aus wie immer: Laptop, Kaffeetasse, das neue Logo auf dem Bildschirmhintergrund.
Draussen bringen Nachbarn ihre Kinder zur Schule. Drinnen starrt Domian auf das Schreiben einer Anwaltskanzlei. „Markenrechtsverletzung“, steht dort.
Das Logo, das er vor ein paar Wochen von einer Bild-KI hat erstellen lassen, soll einer geschützten Figur zum Verwechseln ähnlich sehen. Der Rechteinhaber verlangt Unterlassung und Geld. Domian dachte, KI und Urheberrecht seien Themen für grosse Plattformen und Konzerne. Jetzt merkt er: Die rechtlichen Folgen landen direkt bei ihm.
Domian ist Unternehmer; er berät mittlere Unternehmen in Marketingfragen. Er hat weder einen eigenen Juristen noch eine Rechtsabteilung. Er hat dieses Tool benutzt, das ihm versprach: schnell, günstig und kreativ ein Logo zu erstellen. Von rechtlichen Risiken beim Einsatz von KI war dort kaum die Rede, von Haftung schon gar nicht.
Was Domian an diesem Morgen erlebt, ist kein Einzelfall, sondern ein Muster. KI-Tools versprechen Effizienz, die Verantwortung dafür, was sie produzieren, tragen Selbstständige wie er allein. In diesem Widerspruch beginnt seine Geschichte.
KI und Urheberrecht: Warum KI-Bilder rechtlich nicht „Ihr“ Werk sind
Domian erinnert sich, wie schnell es damals ging. Drei Stichworte, ein Style, vier Vorschläge. Keiner davon sah kopiert aus, alle wirkten neu. Er wählte das dynamischste Motiv, lud es herunter, passte die Farben an, fertig.
Was er nicht wusste, in der EU wie in den USA gilt, dass rein KI-generierte Werke grundsätzlich keinen eigenen Urheberrechtsschutz geniessen. Geschützt wird nach Urheberrechtsgesetz nur die „persönliche geistige Schöpfung“ eines Menschen, also ein Werk, in dem eine individuelle, menschliche Handschrift erkennbar ist. Diese Linie wird inzwischen ausdrücklich von Fachliteratur und offiziellen FAQ der Justizverwaltungen bestätigt: Nur ein Mensch kann Urheber sein, KI-Ausgaben gelten in der Regel nicht als schutzfähige Werke.
Für Domian bedeutet das, sein Logo ist rechtlich kein originäres Werk, das er exklusiv nutzen kann. Wenn es zu nahe an einer bekannten Marke liegt, zählt das Ergebnis nicht als „schöpferische Eigenleistung“, sondern im Zweifel als unzulässige Annäherung und er ist derjenige, der gegenüber dem Rechteinhaber geradestehen muss.
Eine Ausnahme wäre möglich, wenn er das KI-Bild so stark verändert hätte, dass ein eigenständiges Werk entstanden wäre. Aber was heisst „stark genug“? Diese Frage beantwortet am Ende kein Tool, sondern ein Gericht.
Rechtliche Risiken hinter Haftungs-Disclaimer und AGB
Domian schreibt an die Supportadresse des Anbieters. Keine Stunde später erhält er eine knappe Antwort, man bedauere den Vorfall, könne jedoch keine Haftung übernehmen; die Nutzung der Inhalte erfolge „auf eigenes Risiko“. Er habe den Nutzungsbedingungen zugestimmt.
Domian scrollt durch die AGB. Dort steht tatsächlich, dass der Dienst keinerlei Verantwortung für Rechtsverletzungen übernehme, die aus der Nutzung der generierten Inhalte entstehen könnten. Für ihn ist das ein Schock.
Für Juristen ist es Alltag. In der Haftungsordnung taucht „die KI“ nicht als eigene verantwortliche Person auf. Es haftet derjenige, der das System einsetzt und dessen Output in Kommunikation, Produkten oder Prozessen nutzt. Wer eine KI in sein Angebot integriert, bleibt rechtlich Verantwortliche:r, auch dann, wenn er sich technisch nur auf „Vorschläge“ der KI verlässt.
Klauseln, mit denen sich Anbieter pauschal von jeder Verantwortung freikaufen wollen, stossen hier an Grenzen. AGB, die Kernpflichten faktisch aushebeln oder Nutzer über die tatsächlichen Risiken im Unklaren lassen, können als unwirksam oder sogar als unzulässig bewertet werden.
Entsprechende Hinweise finden sich in juristischen Kommentaren und Kanzlei-Analysen, die sich mit den neuen Transparenz- und Sorgfaltspflichten beim Einsatz von KI befassen.
Die KI unterschreibt den Newsletter nicht. Sie taucht auch nicht im Impressum auf. Domian unterzeichnet und sein Name ist es, der im Impressum erscheint.
Wenn Automatisierungsfehler skaliert: n8n, Daten und DSGVO
Die Abmahnung ist nicht Domians erster Kontakt mit den Schattenseiten der Effizienz.
Ein paar Monate zuvor hatte er begonnen, seine Abläufe mit einer Automatisierungsplattform wie n8n zu verknüpfen: Anfragen von der Website wandern automatisch ins CRM, Rechnungen gehen per E-Mail raus, Betreffzeilen werden von einer Sprach-KI vorgeschlagen. Alles, was nicht kreativ ist, sollte die Technik übernehmen.
Bis zu dem Tag, an dem ein falsch konfigurierter Workflow Kundendaten überschreibt. Statt neue Kontakte anzulegen, aktualisiert das System bestehende Datensätze mit falschen Telefonnummern, falschen Namen und falschen Tags. Es dauert Tage, bis Domian den Fehler bemerkt. Er arbeitet Listen ab, schreibt Entschuldigungs-E-Mails und korrigiert, was noch zu retten ist.
In diesem Moment wird ihm klar, wie asymmetrisch die Situation ist. Die KI-Tools und Plattformen verursachen keine eigenen Bussgelder, wenn in ihren Workflows etwas schiefgeht.
Die betroffenen Kund:innen wenden sich nicht an einen US-Anbieter, den sie nicht kennen. Sie wenden sich an die Person, deren Name auf der Rechnung steht.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in der EU und das revidierte Datenschutzgesetz (DSG) in der Schweiz greifen hier ohne Rücksicht auf die Unternehmensgrösse. Beide Rechtsrahmen machen klar: Verantwortlich ist, wer personenbezogene Daten verarbeitet, sei es als Konzern oder als Ein-Personen-Unternehmen.
Informationspflichten, Betroffenenrechte und Dokumentationspflichten gelten für alle, die in ihren Geschäftsprozessen mit personenbezogenen Daten arbeiten.
Automatisierung verändert damit nicht die Verantwortung, sondern nur die Geschwindigkeit, mit der Fehler Wirkung entfalten.
KI-Musik und Plattformen: Kreativität im rechtlichen Käfig
In einer ihrer Community-Gruppen spricht jemand begeistert von einer neuen KI-Musikplattform. Man könne dort „in Minuten Songs erstellen“, angeblich lizenzfrei, perfekt für Videos und Podcasts.
Domian klickt sich durch das Angebot. Die Clips sind beeindruckend. Aber bei den Nutzungsbedingungen bleibt er diesmal länger hängen.
Dort steht, in dieser oder ähnlicher Form, wie sie in vielen aktuellen Terms of Service von KI-Musikdiensten zu finden ist. Die generierten Songs dürfen nur eingeschränkt heruntergeladen werden oder gar nicht mehr, sie dürfen nicht ohne Weiteres auf Streaming-Plattformen hochgeladen werden, für kommerzielle Nutzung gelten zum Teil zusätzliche Bedingungen oder Lizenzmodelle.
Aktuelle Entwicklungen rund um die KI-Plattform Udio zeigen, wie schnell sich diese Bedingungen verschieben können. Nach einer Einigung mit einem grossen Musiklabel-Konzern wurden Downloads von Nutzer:innen-Inhalten stark eingeschränkt und Inhalte künftig stärker in einer geschlossenen Plattformstruktur gehalten.
Die Plattformen lassen ihre Nutzer:innen kreativ werden, behalten aber die Kontrolle über das Ökosystem. Die rechtlichen Risiken, etwa gegenüber Rechteinhabern, deren Kataloge für Trainingszwecke genutzt worden sein könnten, adressieren sie durch weitreichende Nutzungsbedingungen.
Die tatsächliche Verwertungsmacht über die erstellten Tracks liegt dennoch primär beim Plattformbetreiber.
Für Unternehmer wie Domian zeigt sich: Was wie eine Einladung zur „Demokratisierung der Kreativität“ aussieht, kann sich als Sackgasse entpuppen. Sie investieren Zeit und Ideen in Content, den sie unter Umständen nicht frei in eigenen Produkten einsetzen oder ohne Weiteres auf anderen Kanälen ausspielen dürfen.
EU AI Act und Transparenz: die neue Pflicht zur Sichtbarkeit von KI-Inhalten
Während Domian versucht, seine offenen Baustellen zu sortieren, das Logo, der Datenverlust, die unklaren Nutzungsrechte, verschiebt sich im Hintergrund die Gesetzeslage.
Mit der KI-Verordnung 2024/1689 („EU AI Act“) hat die Europäische Union einen Rechtsrahmen geschaffen, der schrittweise in Kraft tritt. Die Verordnung ist seit August 2024 in Kraft, viele ihrer Pflichten, insbesondere für risikoreiche Systeme, greifen allerdings erst nach Übergangsfristen ab 2025/2026.
Ein zentrales Element sind Transparenzpflichten. Anbieter von Systemen, die synthetische Inhalte erzeugen, etwa Bilder, Texte, Audio oder Video aus KI, müssen künftig klarstellen, dass diese Inhalte künstlich erzeugt oder manipuliert wurden.
Für Deepfakes und vergleichbare Formen der Manipulation ist eine deutliche Kennzeichnung vorgesehen; einzelne Mitgliedstaaten wie Spanien diskutieren bereits ergänzende nationale Regelungen mit empfindlichen Bussgeldern, wenn KI-Inhalte nicht als solche gekennzeichnet werden.
Wie genau die Übergangsfristen aussehen und ob es zusätzliche Aufweichungen oder Verlängerungen geben wird, ist politisch noch in Bewegung.
Die Richtung geht von unsichtbarer KI-Nutzung weg, hin zu Kennzeichnung und Erkennbarkeit.
Für grosse Plattformen sind das primär Compliance-Projekte. Für Unternehmer wie Domian sind es Fragen der Existenz. Er beginnt zu verstehen: Es geht nicht nur darum, ob er intern KI einsetzt, um Texte vorzuformulieren oder Daten zu sortieren. Es geht darum, wie er damit nach aussen auftritt und ob seine Kund:innen nachvollziehen können, wo KI beteiligt ist und was mit ihren Daten geschieht.
Wie Solo-Unternehmer:innen Verantwortung zurückholen
An einem Abend sitzt Domian wieder vor seinem Bildschirm. Das alte Logo hat er vorläufig aus dem Verkehr gezogen, die Website zeigt nur noch schlichte Typografie. In seinem Posteingang liegen Newsletter von KI-Anbietern, Webinare und Kurse: „So skalieren Sie Ihr Business mit Automatisierung“, „Wie Sie 10x schneller arbeiten“.
Er scrollt daran vorbei und öffnet stattdessen ein leeres Dokument.
Er will aufschreiben, was er selbst mit den Daten seiner Kund:innen macht und was nicht.
Zeile für Zeile hält er fest, welche Tools er wofür einsetzt, welche Daten wohin fliessen, welche Auftragsverarbeitungsverträge er abgeschlossen hat und welche Rechte seine Kund:innen haben: Auskunft, Berichtigung und Löschung.
Am Ende entsteht ein Blatt, das ohne Schlagworte auskommt. Es erklärt nüchtern, welche Technologien er nutzt, warum er sie einsetzt und welche Schutzmassnahmen er trifft. Es ist beides. Gesetzlich notwendige Information und bewusst gesetzter Kontrapunkt zum Versprechen grenzenloser Effizienz.
Domain schickt das Dokument an seine bestehenden Kund:innen. Die Reaktionen sind überraschend eindeutig. Einige schreiben zurück, sie hätten zum ersten Mal das Gefühl, zu verstehen, was „KI im Projekt“ konkret bedeutet. Andere bedanken sich einfach dafür, dass das mal jemand offen sagt.
Domian's Entscheidung & Erkenntnis
Das Abmahnverfahren wegen des Logos ist noch nicht abgeschlossen, als Domian eine Entscheidung trifft:
Er wird KI weiter nutzen, aber nicht mehr als unsichtbare Instanz im Hintergrund. Wo KI-Inhalte mitprägem, wird er es kennzeichnen. Wo automatisierte Workflows personenbezogene Daten berühren, will er diese dokumentieren. Und wo Nutzungsbedingungen den Einsatz von KI-Werken einschränken, wird er diese Inhalte nicht als Fundament seines Geschäftsmodells verwenden.
Es ist keine Garantie gegen Fehler.
Aber es ist ein bewusster Bruch mit der Illusion, die er in den Werbetexten der Tools wiedererkennt: dass Verantwortung mit einem Klick übertragbar sei. Für Unternehmer wie Domian ist die Bilanz klarer geworden:
KI kann entlasten.
Automatisierung kann Prozesse stabilisieren.
Doch die rechtliche und moralische Verantwortung bleibt dort, wo sie immer war, bei der Person, deren Name unter dem Angebot steht. Unter dem Deckmantel der Effizienz lässt sich vieles verstecken.
Aber nicht die Frage, wer am Ende unterschreibt.
Quellen & weiterführende Hinweise:
- Urheberrecht & KI
– Deutsches Urheberrechtsgesetz (UrhG), insbesondere § 2 Abs. 2 „persönliche geistige Schöpfung“.
– FAQ und Übersichten von Justizministerien und Fachkanzleien zu „KI-generierte Inhalte und Urheberrecht“, die die fehlende Schutzfähigkeit rein KI-generierter Werke hervorheben. - Datenschutz & Haftung
– Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), insbesondere Art. 4 (Verantwortlicher), Art. 6 (Rechtsgrundlagen), Art. 13 ff. (Informationspflichten), Art. 28 (Auftragsverarbeitung).
– Revidiertes Schweizer Datenschutzgesetz (DSG) seit 1. September 2023, Informationen und Praxisleitfäden für Unternehmen. - KI-Regulierung (EU AI Act)
– EU-Verordnung 2024/1689 über Künstliche Intelligenz (EU AI Act), insbesondere Transparenzpflichten für Anbieter synthetischer Inhalte.
– Berichte und Analysen zur Umsetzung der Transparenzpflichten bei Deepfakes und KI-Inhalten in der EU und in einzelnen Mitgliedstaaten. - Automatisierung & Praxisleitfäden
– Fachbeiträge zu „KI und DSGVO-konformer Einsatz in Unternehmen“ (u. a. Handelsblatt, Datenschutzkanzleien, Digitalzentren). Beispiel: bzi-netzwerk.com/publikation/ki-datenschutz - KI-Musikplattformen
– Berichte zu KI-Musikdiensten wie Udio und deren Nutzungsbedingungen, insbesondere im Zusammenhang mit Lizenzfragen und eingeschränkten Download-Möglichkeiten nach Einigungen mit Musiklabels.
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Manuela Frenzel ist unabhängige Publizistin für Technologie und Gesellschaft.
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Hinweise und Transparenz:
Fiktionalisierung: Der Fall Domian Keller ist eine fiktive Fallstudie. KI-Anwendung bei der Erstellung: Zur Strukturierung der gesammelten Informationen für diesen Artikel wurde Künstliche Intelligenz (KI) verwendet. Vertonung: Für die Vertonung des Textes wurde die Stimme Eve von Elevenlabs eingesetzt. Das Headerbild ist eine eigene Kreation mit Midjourney.